"Willkommen, bienvenue, welcome..." Cabaret und der zynische Conférencier verführen zu einem Tanz auf dem Vulkan im Berlin der späten Weimarer Republik während des Aufstiegs der Nationalsozialisten. Auf der Grundlage autobiographischer Erzählungen des schwulen britischen Kultautors Christopher Isherwood, der sich von 1929 bis 1932 begeistert ins Berliner Nachtleben stürzte, erzählt das Erfolgsmusical von Selbstfindung und Orientierungslosigkeit in chaotischen Zeiten:
Von der Prostituierten Fräulein Kost und einem Deutschen mit politischer Mission, der verarmten Pensionswirtin Fräulein Schneider und dem jüdischen Gemüsehändler Herr Schulz und natürlich von der flamboyanten Sally Bowles, mit der Isherwoods alter ego Clifford Bradshaw eine Weile sein Bett teilt. Und das nicht ohne Folgen: Bald ist Sally schwanger...
Inszeniert von Nicole Claudia Weber bringt das Staatstheater Darmstadt aktuell das Kander & Ebb Musical CABARET auf die Bühne. Nicht zwanghaft modernisiert gelingt es der Produktion doch brandaktuell zu sein, zieht die Zuschauer in den Bann und begeistert die Kritiker. Die Premiere fand am vergangenen Samstag statt, weitere Vorstellungen laufen vorerst noch bis Juli. Wir haben hier die Pressestimmen zusammengefasst:
Benedikt Stegmann (Frankfurter Allgemeine Zeitung): "...In Darmstadt darf man lange an der Illusion festhalten, die Sache könne gut ausgehen. Die Bereitschaft Cliffords, sich neuen Lebensbahnen zu öffnen, vermittelt Markus Schneider mit jungenhaftem Charme; Dorothea Maria Müller scheint als Sally ohnehin für jede Überraschung gut. In der Altersklasse darüber wirbt Thomas Mehnert als Herr Schultz mit Wärme, Ausdauer und viel frischem Obst um das Herz seiner Vermieterin. Petra Welteroth signalisiert als Zimmerwirtin nach anfänglicher Ungläubigkeit Bereitschaft, ihrer Biographie eine neue Wendung zu geben. [...] Das Umkippen der Situation wird von der Regie virtuos maskiert. Das Unterhaltungstempo des titelgebenden Etablissements findet sich auf die Inszenierung übertragen und wird mit perfektionistischem Detailreichtum abgesichert. Die Cabaret-Girls und -Boys wirbeln, Geschlechterrollen verflüchtigen sich in mannigfachen Travestien, und der auch als Passkontrolleur und Gespenst fungierende Conférencier (Michael Pegher) lässt die Grenze zwischen Show und Wirklichkeit endgültig verschwimmen..."
Judith von Sternburg (Frankfurter Rundschau): "...Eine Zusammenstellung aus Opernchor und Musical-Spezialisten bewegt sich hier nun ganz wie daheim, grell die Kostüme, gemütlich die Zoten, hemmungslos der gleichwohl jugendfreie Sex. Im Getümmel finden sich etliche wiedererkennbare Typen, der allgemeine Schwung ist glaubhaft und unpeinlich (Choreographie: Christopher Tölle). Handverlesen die Solisten, darunter Dorothea Maria Müller als die berühmte Sally Bowles (vernünftigerweise weit entfernt von der unschlagbaren Liza Minnelli im unschlagbaren Film) und Markus Schneider als höflicher Amerikaner Bradshaw..."
Thomas Wolff (Wiesbadener Kurier): "...Der totenbleich geschminkte Conférencier leitet mit sardonischem Joker-Grinsen durchs wüste Geschehen. Michael Pegher meistert die Rolle mit so viel Verve und Feingefühl, dass er mit dem stärksten Applaus des Abends bedacht wird. Das Orchester liefert den perfekten Soundtrack dazu [...] Dorothea Maria Müller findet kraftvoll-raue wie zarte Töne für ihre verzweifelt lebenshungrige Nachtclub-Sängerin Sally. Markus Schneider spielt ihren Lover Clifford mit dem naiven Charme des Zugereisten, der sich im Berliner Trubel ausprobieren will. Thomas Mehnert bringt seinen profunden, schmiegsamen Bass als jüdischer Händler und Liebender wirkungsvoll zum Einsatz. Am Ende steht er im Halbschatten. Der erste Ziegelstein ist in sein Schaufenster geflogen, und der Alte tröstet sich: Das Unwetter wird schon vorüberziehen, glaubt er, und da schaudert es den Zuschauer noch mal..."
Foto Credit: Candy Welz
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