„Ich bin wieder hier, in meinem Revier“ singt Marius Müller-Westernhagen bei seinem Gastspiel in der fast ausverkauften Berliner O2 Arena. Dieses Mal hat dies eine besondere Bedeutung, denn seit gut zwei Jahren lebt er selber in Berlin. „Jetzt kann ich die New Yorker verstehen, die so stolz auf ihre Stadt sind. Ich bin stolz ein Berliner zu sein und ich liebe Berlin.“ Dass, was man Westernhagen als Phrasendrescherei anhängen könnte, nimmt man ihm durchaus ab. Nach Jahrzehnten im Showgeschäft sind seine Tourneen zwar nicht mehr so voll wie vor einigen Jahren, aber nach eigener Aussage lässt sich Westernhagen deswegen keine grauen Haare mehr wachsen. Nun gut, die Kartenpreise für das Konzert sind alle im oberen Preissegment angesiedelt...
Westernhagen bietet für gut zwei Stunden ein durchgestyltes Bühnenprogramm, unterstützt von einer famosen Band und zwei Backgroundsängern. Seine Fans feiern in frenetisch und singen seine zahlreichen Hits „Willenlos“, „Ich bin fertig“, „Jesus“ und „Schweigen ist feige“ aus voller Kehle mit. Eine riesengroße LED Wand dokumentiert neben Grafiken, Videoeinspielungen und gelungenen Effekten auch den Alterungsprozess Westernhagens. Beim näheren Blick und dem Zoom der Kamera sieht man ihm die Jahre und Jahrzehnte deutlich an. Von alldem scheint Westernhagen selbst nichts wissen zu sollen. Nur so lässt sich sein gockelhaftes Schaulaufen auf der Bühne erklären. Er wirkt dabei wie ein Fossil aus vergangenen Zeiten und so sind seine Verrenkungen und arhythmischen Bewegungen die eines Mannes, der verzweifelt versucht seine Agilität und Jugendlichkeit zu bewahren. Er greift auf einen Teleprompter zurück, der jeden Text vor Westernhagens Augen abspult und somit nichts dem Zufall überlässt. Die Vorstellung seiner Band überlässt er dem Keyboarder, welches dieser unnötig in die Länge zieht. „Macht Musik!“ brüllt ein Zuschauer aus den vorderen Reihen.
Westernhagen scheint überwältigt vom Zuspruch des Publikums zu sein. Ob dies eine gewisse Theatralik ist, von der er jeden Abend gebrauch macht, sei einmal dahingestellt. „Wie kann ich jemals aufhören?“ fragt Westernhagen während Beifallsstürmen ins Publikum. Viele der Besucher sind jahrelange Fans des gebürtigen Düsseldorfers. Fanshirts aus Jahrzehnten zieren die Bekleidung einiger Besucher.
Mit „Pfefferminz bin ich dein Prinz“ und „Sexy“ gibt Westernhagen Mit-Sing und Mit-Gröhl Hits zum Besten, die für seine Besucher für Begeisterung sorgen. Da ist die ausbaufähige Textverständlichkeit von Westernhagen etwas zu verschmerzen. Die Spontanität sucht man bei diesem Konzert allerdings ebenso vergebens wie neue, frische Ideen. und nichts ist so wie es scheint. Angefangen von dem quietschbunten Hemd, welches Westernhagen trägt und von dem man denken könnte es sei aus dem Otto Katalog der 70er, ist in Wahrheit ein Designerstück, hinter der ach so offenherzigen Art mit dem Tenor „Ich bin einer von euch“ steckt in Wahrheit ein Mensch der Luxus Upper Class, hinter dem lässig ausgezogenen Jackett ist sofort ein Mitarbeiter zur Stelle, der Westernhagens ausgestreckter Hand das Luxusobjekt entnimmt.
Westernhagen hat sich längst selber zu einer Kunstfigur hochstilisiert, aber genau dafür scheint sein Publikum ihn zu lieben. Mit „Freiheit“, einer der obligatorischen Zugaben, präsentiert sich Westernhagen mit einem seiner prägnantesten und besten Songs. Im Hintergrund sind auf der LED Wand Bilder von Martin Luther King, Ghandi, Harvey Milk, Nelson Mandela und Che Guevara zu sehen mit dem eindeutigen Hinweis am Ende: Free Pussy Riot. Westernhagen ist durchaus ein Künstler der polarisiert, aber einer der auf eines Zählen kann: die bedingungslose Hingabe seiner Fans.
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