Marie Antoinette in Tecklenburg
von Carolin Fink
Ich will leben,
ich will jung sein und vergnügt
Ich will lachen,
ich will Dummheiten machen
Und ich will tanzen im Licht
Nur langweilen will ich mich nicht
(Marie Antoinette – Langweilen will ich mich nicht)
Dieses Jahr startete Tecklenburg die Freilichtbühnen-Saison mit einer mutigen Musical-Inszenierung: MARIE ANTOINETTE. So blieb schon bei der Erstaufführung in Bremen der durchschlagende Erfolg aus. Nach einer Überarbeitung des Stückes des Erfolgsduos Michael Kunze (Text) und Sylvester Levay (Musik) durch Radulf Beuleke, Intendant der Freilichtbühne Tecklenburg, und seines Kreativteams feierte die Produktion nun als Open-Air-Musical erneut Premiere.
Das Stück handelt von zwei Frauen mit den gleichen Initialen – MA. Diese stehen einmal für Marie Antoinette, Königin von Frankreich und Frau von Louis XVI. Sie lebt ein Leben im Überfluss und verschwenderischem Luxus und genießt es in vollen Zügen ohne an das Leiden des Volkes vor den Toren von Versailles zu denken. Auf der anderen Seite stehen die Initialen für ihre Gegenspielerin: Margrid Arnaud, welche als Blumenverkäuferin versucht auf der Straße zu überleben und in Elend und Not ihr Dasein fristet.
Als sich die beiden Frauen zufällig treffen, nehmen Hass und Verachtung auf die jeweils andere zu. Während jedoch Marie Antoinette nichts an ihrem Lebensstil ändert, rebelliert Margrid Arnaud immer stärker gegen das französische Adelshaus und wird zu einer bedingungslosen Kämpferin in der langsam beginnenden Französischen Revolution.
Als Margrid erkennt, dass Marie Antoinette doch nicht nur die verschwenderische Königin ist und sieht was aus ihrem fanatischen Hass entflammt ist, ist es allerdings schon zu spät.
Dramatisch und emotional erzählen die beiden Autoren Michael Kunze und Sylvester Levay eine Geschichte mit historischem Hintergrund, die zwar über die tatsächlichen Begebenheiten hinaus geht, aber dennoch das Publikum fesselt, leider manchmal aber auch zu dick aufgetragen wirkt.
Punkten kann Tecklenburg wieder mit einer hochkarätigen Besetzung. Mit Sabrina Weckerlin als Margrid Arnaud, Anna Thorén als Marie Antoinette, Patrick Stanke als Liebhaber der Königin Graf Axel von Fersen, Marc Clear als Herzog von Orlèans, Yngve Gasoy-Rømdal als allwissender Erzähler Cagliostro oder auch Wietske van Tongeren als Nonne Agnés Duchamps ist die Riege der namhaften Musicaldarsteller lang.
Allen voran zu nennen ist Sabrina Weckerlin, welche gesanglich und schauspielerisch absolut überzeugend brilliert. Ihre Soli gehen unter die Haut, auch wenn die Musik sehr schlager- und balladenlastig ist und selbst den Chor übertönt Weckerlin noch mit Leichtigkeit. Allerdings beginnt „Nein ich weine nicht mehr“, so großartig es auch gesungen ist, spätestens bei der dritten Reprise eher als nervende anstatt als emotionsgeladene Gesangsnummer in Erinnerung zu bleiben. Jedoch ist dies nicht als Manko an Weckerlins Leistung zu verstehen.
Ebenfalls hervorragend gibt Anna Thorén die Marie Antoinette. Sie weiß sowohl als hochnäsige und verwöhnte Königin als auch als die gebrochene Frau und sorgende Mutter zu überzeugen.
Auch Yngve Gasoy-Rømdal spielt und singt seinen Part als Cagliostro, dem Erzähler und Fädenspinner, sehr gut. Leider ist er, durch seinen Akzent bedingt, teilweise sehr schwer zu verstehen. Er tritt immer von vier Jünglingen – seinen „Schatten“ begleitet auf, welche ein wenig Witz und Komik in die Szenen des sonst so ernsten Musicals bringen. Diese wirken verspottend und verdeutlichen somit Cagliostros übergeordnete Stellung als allwissender Erzähler bzw. Puppenspieler, welcher die Fäden der Gesellschaft in den Händen zu haben scheint.
Dies ist einer der Kniffe von Marc Clear, welcher mit MARIE ANTOINETTE bereits zum dritten Mal auf der Freilichtbühne Tecklenburg Regie führt. Leider kann der Spannungsbogen nicht dauerhaft durch das komplette Stück gehalten werden. So besitzt der zweite Akt langatmige Szenen, bevor das große Finale – die Hinrichtung König Louis‘ und Marie Antoinettes, beginnt.
Beeindruckend sind die Massenszenen mit Chor und Statisten, die Clear gekonnt in Szene zu setzen weiß. Das Elend des Volkes auf der einen und die Ignoranz der Adligen auf der anderen Seite wird sehr wirkungsvoll dargestellt. Allerdings gibt es einige Schwächen in der Regie: So wirkt beispielsweise der Tod der Bordellbesitzerin Mme Lapin fast schon lächerlich und grotesk nach den gezeigten schwachen Peitschenhieben im Gegenzug zu dem eingespielten harten Knallen oder Szenen wirken aneinandergereiht, da teilweise kein Zusammenhang erkennbar ist. Auch ist es unmöglich die Zeitspanne zwischen den Szenen erkennen zu können.
Das Bühnenbild ist eindrucksvoll in die Tecklenburger Ruinenkulisse eingebettet. Das Hauptelement in der Mitte der Bühne lassen Räume im Schloss Versailles erahnen, wenn diese auch weniger prunkvoll sind als man es sich wünschen würde. Auf der linken Seite befindet sich eine Drehbühne welche abwechselnd eine Guillotine und ein Gefängnis zeigt. Ein Pluspunkt der Freilichtbühne sind die unzähligen Möglichkeiten für Auf- und Abgänge der Darsteller. Man ist als Zuschauer nicht nur auf einen Punkt fixiert, sondern es bieten sich zahlreiche Möglichkeiten des Geschehens.
Die Kostüme von Karin Alberti sind eindrucksvoll und mit viel Liebe zum Detail geschneidert. So tragen die adligen Damen pompöse Kleider in goldtönen und hohe weiße Turmperücken mit vielen Federn und Perlen verziert, die Herren der Zeit gemäße Pumphosen mit weißen Strümpfen und viel Spitze. Der Erzähler Cagliostro trägt von Zeit zu Zeit sogar eine meterlange, riesige schwarze Schleppe unter welcher sich ganze Szenen aufbauen können. Das Elend des Volkes wird auch in den Kostümen deutlich: es trägt zerissene und verdreckte graue Kleider oder Hosen, Tücher und Lumpen.
Alles in allem kann MARIE ANTOINETTE in Tecklenburg noch nicht vollkommen überzeugen, jedoch kann man durch die Brillianz der Cast ein wenig darüber hinweg sehen. Und allein deshalb ist die Reise nach Tecklenburg lohnenswert.
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