Die Altarbilder, Madonnenstatuen und Heiligenbilder im wunderschönen, majestätischen Bode Museum waren im Laufe der Jahre und Jahrhunderte bereits Zeitzeugen der unterschiedlichsten Ereignisse. Vor allem aber sind sie es gewohnt angesehen und bewundert zu werden, nun haben sie selber die Gelegenheit zu sehen und zu staunen über dass, was nun bis Mai an drei Tagen der Woche ungewöhnliches geschieht.
Auf dem Schloss des Grafen Almaviva geht es drunter und drüber. Anstatt sich um seine junge, ihm kürzlich angetraute Frau zu kümmern, steigt der Hausherr lieber ihrer Kammerzofe Susanna hinterher. Susanna jedoch, will den Kammerdiener Figaro heiraten. Doch nicht nur der Graf ist auf ein Abenteuer aus – alle Figuren in Figaros Hochzeit scheinen sich in einem Ausnahmezustand zu befinden.
Das Ensemble von Figaros Hochzeit bewegt sich in der Inszenierung von Christoph Hagel zu den wunderschönen Klängen Mozarts Ouvertüre auf einem Catwalk, um den das Publikum wie bei einer Modenschau sitzt. Die gewöhnungsbedürftige Choreografie erinnert dabei mehr an rhythmische Sportgymnastik als an einen Tanz. Hagel scheint auf Teufel komm raus seinem hochtalentierten und motivierten Ensemble soviel tänzerische Stilmittel wie möglich unterjubeln zu wollen. Besonders bei Bernhard Hansky wirkt das merkwürdig ferngesteuert und sehr gewollt. Obwohl der arme sich reichlich bemüht das ihm vorgegebene umzusetzen, geschieht dies nur rein äußerlich ohne das innere Gefühlsleben der Figur offen zulegen. Hanskys Figaro ist stimmlich brillant. Sein warmer Bariton ist eine wahre Freude und dazu noch für einen 24jahrigen erstaunlich kraftvoll und hervorragend geführt. Leider passen seine Bewegungen und Verrenkungen nicht dazu, aber das ist nicht Hanskys Schuld, denn er führt nur das aus was ihm vorgegeben wurde. Ihm zur Seite steht die bezaubernde Cristiane Roncaglio als Susanna die in jeder Hinsicht ihre Figur mit Fleisch, Blut und Seele erfüllt. Sie singt wie ein Engel und dem Zuschauer ist sofort klar warum ihr soviele Männer zu Füßen liegen und sie für sich gewinnen wollen. Einer dieser Männer ist Graf Almaviva, gespielt und gesungen von Tobias Hagge. Leider fehlt es ihm nicht nur an physischer Präsenz sondern vor allem an stimmlicher. Er bleibt weit hinter seinen Kollegen zurück, bleibt uncharismatisch, uninteressant und kann in seiner Arie Hai gia vinta la causa? nicht Punkten und fällt dabei zurück wie ein Athlet, der bereits mit Startschwierigkeiten in den Marathon startet. Immer wenn Alexis Barthelemy als Gräfin auf der Bühne ist, ist sie strahlender Mittelpunkt. Sie sieht nicht nur wunderschön in Maske (Manuel Müller) und Kostüm (Malena Modeer und Marie Gerstenberger) aus, sondern singt herzzerreißend gut und gefällt so hervorragend dass man sie jederzeit gerne in Trovatore oder Butterfly sehen möchte. Eines der besonderen Highlights und Besetzungsclou ist die Verpflichtung des Countertenors Christophe Villa als Cherubino. Diese Rolle wird sonst fast ausschließlich von Frauen gespielt, eröffnet aber natürlich in dieser Konstellation viele ungeahnte Möglichkeiten. Villa, von Natur aus zart, schafft es der Figur des Pagen ein Profil zu verleihen und ist schauspielerisch wie stimmlisch ein absoluter Volltreffer. Perfekt - von diesem Künstler werden wir in Zukunft hoffentlich noch mehr sehen und hören. Gegen ihn verblassen Tersia Potgieter als Marcellina und Florian Hille als Bartolo. Obwohl Potgieter als Typ gut besetzt ist schafft sie es stimmlich in keinster Weise zu überzeugen: sie singt viel zu leise und nicht akzentuiert. Florian Hille gelingt etwas ganz erstaunliches, nämlich aus einer ohnehin schon langweiligen Rolle eine noch langweiligere Interpretation zu erschaffen. Dazu singt er nicht gut und bleibt mit großem Abstand hinter seinen Kollegen zurück. Warum er sich dazu auch noch so bewegt als hätte er einen Storch gefrühstückt wird wohl für immer ein Rätsel des Regisseurs bleiben. Dieses Gestolze erinnert an das erste Semester Schauspielschule in dem jedem Schüler ein Tier zugeteilt wird. Das wirkt in dieser Inszenierung leider vollkommen deplatziert und sorgt für unfreiwillige Lacher. Ein Tier welches da schon besser funktioniert ist das Wiesel von Basilio Joseph Schnurr. Der in Kanada geborene Sänger ist in seiner kleinen Rolle stets 100.%ig dabei und beweist mal wieder hervorragend das es sehr gut möglich ist, auch aus kleineren Rollen das maximale herauszuholen. Er ist stimmlich blendend und sein Schauspiel pointiert.
Nicht alles in Hagels Inszenierung ist stimmig, aber man hat Mozarts Figaro schon lange nicht mehr so humorvoll herausgearbeitet gesehen. Dass die Oper dann so gut punkten kann, liegt in erster Linie an dem großartig auftrumpfenden Ensemble (mit Abstrichen) und den glänzend aufspielenden Berliner Symphonikern. Während dem nächtlichen Verwirrspiel im Park des Schlosses begleiten hervorragende Projektionen von Tina Zimmermann und Daniel Bandke die Szenarie. Großer Premierenapplaus für alle Beteiligten.
Photo Credit: Dirk Mathesius
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