1964 wird Martin Luther King mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, Lyndon B. Johnson wird zum Präsident der vereinigten Staaten gewählt. Sidney Portier gewinnt als erster schwarzer Schauspieler den Oscar als bester Hauptdarsteller und im New Yorker Winter Garden Theater feiert das Musical „Funny Girl“ seine Broadway Premiere. Es ist der Stoff aus dem Legenden sind. Die erst 21jährige Barbra Streisand wird in der Titelrolle zum Star und zur gefeierten Sensation.
Schon als junges Mädchen wusste Fanny Brice, dass sie auf die Bühne gehörte. Das Kind jüdisch-ungarischer Einwanderer erfüllte sich den amerikanischen Traum, indem es voller Ehrgeiz und mit viel komischem Talent zunächst die New Yorker Vorstadtbühnen eroberte, um schließlich der Star der Ziegfeld-Follies zu werden, jener legendären Broadway-Revuen von Florence Ziegfeld jr., die mit ihren prächtigen Ausstattungen und der Erfindung der „Chorus Line“ zum Inbegriff der Broadway-Shows in den Goldenen 20er Jahren wurden.
Während sich Fannys Karriere plangemäß entwickelte, wurde sie im Privatleben vom Pech verfolgt: Drei Ehen sollten im Laufe ihres Lebens scheitern. Doch Fanny Brice fiel immer wieder auf die Füße und schöpfte Kraft aus der Liebe zu ihren beiden Kindern, die sie mit ihrem zweiten Ehemann, dem eleganten Spieler und charmanten Betrüger Nick Arnstein hatte.
Für viele Besucher beginnt und endet „Funny Girl“ im Opernhaus Dortmund mit einem Schock. Es gibt keine Musik aus der Retorte, keine Compilation Versatzstücke, keine singenden Katzen und kein doppelter Boden. "Funny Girl" ist ein klassisches Broadway Musical aus einer fast schon vergessenen Epoche. Wenn zur Ouvertüre das Orchester unter der Leitung von Philipp Armbruster die ersten Töne anstimmt, die wundervolle Musik von Jule Styne ertönt und die Scheinwerfer vor dem roten Vorhang in Position fahren ist tatsächlich eine gelungene Reanimation des großen Vaudevilles und Glamours geglückt. Das was hier für gut drei Stunden geboten wird ist ein Musical auf allerhöchstem Niveau.
Die Kostüme von Susanne Hubrich sind in ihrer detailversessenen Brillanz ein Fest für die Augen und gehören ebenso zu den vielen Höhepunkten der Produktion wie das hervorragende und funktionale Bühnenbild von Harald B. Thor.
Die Inszenierung von Stefan Huber ist ein Kind der Liebe. Man spürt in jeder Szene, jeder Lichtgestaltung und ausgefeilter Bühnenregie, dass Huber nichts dem Zufall überlassen hat und mit dem Musical ein wahres Herzensprojekt realisieren konnte. Seine Idee das Musical zu inszenieren und auf den Spielplan deutscher Häuser endlich wieder zurückzuholen erweist sich als ebensolcher Glücksfall wie seine fulminante Hauptdarstellerin.
„Ich bin der größte Star“ singt Katharine Mehrling als Fanny Brice und dieser Aussage möchte ich zu keiner Zeit widersprechen. Die Mehrling schafft das unfassbare und läßt den Mythos und mächtigen Schatten der Streisand in dem Augenblick hinter sich, als sie die Bühne betritt. Mehrling atmet die Rolle mit jeder Pore, jedem Atemzug. Sie ist unfassbar komisch, berührt dazu und verzaubert. Und dann ist da natürlich diese Stimme, dieses unglaubliche Instrument das von einer wohligen Gänsehaut zur nächsten führt. Katharine Mehrling hat ohne Zweifel die beste Musicalstimme Deutschlands. Ihre Star Performance als Fanny hat internationales Niveau und kann mühelos mit dem der Größen des Broadways und West Ends mithalten. Sie dominiert die Bühne und man kann als Zuschauer nicht die Augen von ihr wenden. Mit jeder Note, die sie singt haucht sie den Songs von Jule Styne (Musik) und Bob Merrill (Texte) Leben ein. „His Love Makes Me Beautiful“ ist so witzig, wie „People“ berührend und leidenschaftlich ist. „Don’t Rain On My Parade“, eine der Musicalhymnen schlechthin, wird dabei zum Ende des ersten Aktes zu einem Triumph für Mehrling. Es ist ein wahrer Hochgenuss diese wunderbare Schauspielerin und Sängerin zu erleben, was gleichzeitig für soviel unterdurchschnittliche Abende eines ungenannten holländischen Musicalkonzerns entschädigt.
Mehrling liefert eine tour-de-force Performance, besticht durch eine fein nuancierte gespielte und brillant gesungene Fanny Brice, während Bernhard Bettermann neben ihr als Nick Arnstein soviel Charisma hat wie ein Lampenständer. Bleibt sein Spiel hölzern und flach, so ist es der wenige Gesang der für ihn und die Zuschauer zur Qual wird. Auf seine kurze Reprise von „Don't Rain On My Parade“ hätte ich liebend gerne verzichtet. Marc Seitz überzeugt mehr tänzerisch als gesanglich und hinterlässt in seiner kleinen Rolle als „Sidekick“ Eddie keinen bleibenden Eindruck.
Der Oper Dortmund und deren Intendant Jens-Daniel Herzog ist es nicht hoch genug anzurechnen mit „Funny Girl“ ein innovatives und selten gespieltes Musical zu präsentieren fernab einer „sicheren“ Wahl wie "My Fair Lady“, die auf jedem zweiten Spielplan dieser Republik zu finden ist. Oder wie die wunderbare Johanna Schoppa als Rose Brice treffen sagt: „Nur ein Schwamm passt überall rein“. So geht Herzog mit leuchtendem Vorbild voran und belehrt jene Führungsriegen, die immer noch der Meinung sind, Musical sei eine unterentwickelte und nicht ernst zunehmende Form des Musiktheaters.
Ein großer Pluspunkt ist der hervorragende Sound, der in deutschen Theatern leider immer wieder sträflich vernachlässigt wird. Wenn Mehrling kurz vor Ende der Show "My Man" singt, ein Song den Fanny Brice einst selbst sang, ist dies von einer elektrisierenden Kraft und Energie, die ihresgleichen sucht. Dieses "Funny Girl" namens Katharine Mehrling ist einfach hinreißend, oder wie Streisands erster Satz im gleichnamigen Film lautet: "Hello, gorgeous!"
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