"Ist aber schon eine skurrile Inszenierung", meint der nette ältere Herr neben mir im Deutschen Theater und lächelt. Ich zögere etwas mit meiner Antwort, obwohl skurril es schon gut trifft. Selten hat man Tschechow's Stück "Der Kirschgarten" so amüsant geshen wie in der Inszenierung von Hausregisseur Stephan Kimmig. Die vielen humoristischen Aspekte eines Anton Tschechows' werden leider von vielen Regisseuren vernachlässigt und nicht genug herausgearbeitet. So verdient Kimmig's Arbeit alleine deswegen schon Beachtung und Respekt. Außerdem gibt es noch einen Grund aufzuhorchen, denn Nina Hoss spielt die Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna Ranjewskaja. Hoss ist eine Offenbarung auf der Bühne. In ihrem Gesicht kann man sowohl die Vergangenheit, wie die Gegenwart ihrer Figur lesen. Dies ist eine exzellente, ausgereifte Leistung einer großen Schauspielerin. "Das ist mir zu eng, ich bekomm keine Luft mehr" spricht sie an einer Stelle und beschreibt damit sehr gut den Gemütszustand dieser histrionischen Persönlichkeit.
Vor Jahren, nachdem ihr kleiner Sohn ertrunken war, ging die Gutsbesitzerin Ranjewskaja nach Frankreich. Nun kehrt sie, von der Liebe enttäuscht, mit ihrer Familie nach Hause zurück: Haus und Hof kommen unter den Hammer, die Schulden sind zu hoch. Wie die Rettung aussieht, weiß Geschäftsmann Lopachin: Man könne auf dem Grundstück Datschen errichten und sie an Sommergäste vermieten. Voraussetzung dafür ist allerdings, den berühmten Kirschgarten der Familie abzuholzen. Geld, immer wieder Geld ist wiederkehrendes Motiv bei Tschechow. War beispielsweise Howard Davies Inszenierung am National Theatre in London mit Zoe Wanamaker in der Hauptrolle ein klassisches Beispiel für werkgetreue Arbeit, verschreibt sich Stephan Kimmig dem modernen, zeitgemäßen Theater.
Wirklich skurril wird die Inszenierung wenn auf ein Beziehungsgestörtes Verhältnis zwischen dem Onkel (Christoph Franken) und seinen Nichten (naturalistisch und sehr gut: Natalia Belitski, weinerlich und schwach: Meike Droste) verweist. Das ist dann auch der Punkt, in dem Kimmig seinen Drang zu expressiven Regietheater nicht verbergen kann. Auch wenn der Symbolismus an einigen Stellen etwas dick aufgetragen ist (das Kleid des Dienstmädchens Dunjascha hat Kirschen), die schwangere Charlotta macht es sich mit Gurken bequem (eine Rolle die von Tschechow etwas stiefväterlich unterentwickelt ist) und die ständigen Stolperer von Harald Baumgartner als Buchhalter, ergibt sich am Ende ein stimmiges, rundes Bild dieses "Kirschgartens".
Überzeugend und sprachlich perfekt ist Felix Goeser als Lopachin, der gemeinsam mit Hoss die beste Leistung des Abends abliefert. Es ist eine Inszenierung die einiges von den Zuschauern fordert, aber dennoch einen sehr guten und auch amüsanten Abend garantiert.
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