Nachdem der erste Abend der Classic Open Air Reihe auf dem Gendarmenmarkt buchstäblich ins Wasser fiel und vorzeitig abgebrochen werden musste, schien es für den Folgetag zuerst nicht besser zu stehen. Bei einem Blick auf die Wetterkarte war eine Regenwahrscheinlichkeit von 90% prophezeit. Glücklicherweise stellte sich dies jedoch als falsch heraus und so konnten die Zuschauer endlich einen lauschigen Sommerabend bei angenehmen Temperaturen zelebrieren.
Nachdem recht bescheidenen Anfang vom Vortag (siehe meine Kritik), ist Veranstalter Gerhard Kämpfe als Moderator die eindeutig bessere Wahl, als am Vorabend Herbert Feuerstein. An diesem Tag steht das Thema Tanz auf dem Programm des Classic Open Airs. Erst jetzt kann man als Zuschauer die Schönheit des Gendarmenmarktes und die großzügige Bühne in vollen Zügen genießen, ohne von Schirmen gepieckt zu werden.
Die Neue Elbland Philharmonie unter der Leitung von Christian Voß eröffnet den Abend mit der Ouvertüre zu Gershwin's "Girl Crazy". Eine vortreffliche Wahl! Nicht nur kann man von Gershwin generell nie genug bekommen, vielversprechend klingt bis hier hin schon mal die Musikauswahl. Im Anschluss kommt ein alter, sehr alter Bekannter in Form der "West Side Story". Für alle Glücklichen, die die hervorragende Choreographie an der Deutschen Oper sahen, wo das Gastspiel in der Regie von Joey McKneely am 26. Juni Premiere feierte, werden hier maßlos enttäuscht sein. Die Choreographie von Carlos Matos gleicht einem karnevalswütigen Paarungsritual mit den hässlichsten Kostümen aus dem Theaterfundus für Farbenblinde. Das Ballett Dessau müht sich redlich ohne sichtbaren Erfolg. Cornelia Marschall und David Ameln singen jeweils "I Feel Pretty" und "Maria" in erträglichem Durschnitt, aber etwas wackligen Stimmen. Die Akoustik ist an diesem Abend zwar besser als bei der First Night, doch das Orchester ist dumpf abgemischt mit zu penetranten Bläsern.
Klassisch und anmutig wird es mit Tschaikowsky's "Schwanensee" und dem Ballett Poznan in der Choreographie von Kenneth Greve. Im Anschluss gibt es den Block mit Namen "Gershwin Fieber", bei dem es sich eher um ein laues Lüftchen, als um leidenschaftliche erhöhte Temperaturen handelt. So fällt die Musikauswahl hier leider enttäuschend aus. Von den vielen schmissigen und beliebten Nummern die Gershwin schrieb, man erinnere sich u.a. an "Nice Work If You Can get It", "I Got Rhythm" oder "Somebody Loves Me" singt Cornelia Marshall das dröge interpretierte "By Strauss".
Mit billiger Ostblockmentalität und schlecht sitzenden, roten Perrücken veruschen dann zwei Tänzerinnen zu Gershwin eine lesbisch angehauchte Chreographie, welche an Aerobik der Volkshochschule erinnert und weder auf die Musik passt, noch sehr geschmackvoll in Szene gesetzt ist.
Alisa Bartels und Christopher Carduck der Ballettschule Berlin können hingegen Glanzpunkte setzen mit Frederic Chopin's Walzer cis-Moll (Pas de deux)in der Choreographie von Mihail Fokin. Als dann anschließend eine Windmaschine aufgebaut wird und ich für einen kurzen Moment denke, Beyoncé hätte sich als Special Guest angekündigt, geht es in den Bereich der Kinderlieder. Rumpelstil heißt die Formation. Die rote Zora, mit Namen Katharina Maria Schmidt, singt irgendwas von traurig sein und ein großes, hässliches, unförmiges Wesen in blau schwingt dazu die Stampfer. Da könnte man doch glatt ausrufen: "Thema verfehlt, setzen. Sechs!" Die Windmaschine konnte mich dann auch nicht mehr überzeugen...
Dann folgen drei Minuten die zweifelsohne das Highlight des ersten Teils bieten. Der Auftritt des Deutschen Fernsehballetts und die Frage warum diesem Ensemble nicht ein ganzer Abend gewidmet wurde. Ich persönlich kannte die Gruppe nur im Zusammenhang mit Fernsehshows, die schon beim Zwei-Sekunden-Konsum Brechdurchfall und Magengeschwüre auslösen. Umso erfreuter war ich über diesen Cancan aus "Orpheus in der Unterwelt". Für diesen, leider zu kurzen Auftritt, kommt dann auch endlich das ersehnte "Tanzgefühl" auf, was mir als Zuschauer durch den Moderator schon mehrmals lautstark suggeriert, aber nie erreicht wurde - bis jetzt.
Der Beginn des zweiten Teils ist der Operette gewidmet, ein musikalischer Zweig, der manchmal zu Unrecht vernachlässigt wird. Auf wenn die Musikauswahl nicht wirklich überraschend ist mit "Eine Nacht in Venedig" und dem "Weißen Rößl" scheint dieser den Nerv des Publikums zu treffen.
Schostakowitch steht nun ebenso auf dem Programm wie Musik von Ravel, Weill und Rossini. Obwohl ich persönlich ein großer Bewunderer von Kurt Weill bin, wirkt die Selektion aus "Marie Galante" recht sperrig und viel zu lang. Richtig überzeugen kann mich dieses Ballett aus Dessau auch nicht. (Warum wurden die überhaupt verpflichtet?)
Rumpelstil hat einen erneuten Auftritt und die Dame mit Ventilator singt von Spielmannszügen und irgendeinem Tambourmajor dem sie die Stiefel putzt und vom verzauberten Glück.. oder so ähnlich, auf jeden Fall überflüßig und so spannend wie eine Vollnarkose beim Zahnarzt.
Als starker Kontrast zum bisherigen Abend sind nun die Flying Steps zu erleben, die mit perfektem Breakdance zu J.S. Bach über die Bühne wirbeln. Eine sehr gute, innovative Idee, von der ich persönlich gerne mehr gesehen hätte. Zum Finale gibt es ein Wiedersehen mit dem Deutschen Fernsehballett und auch hier an dieser Stelle wieder dem dürsten nach einer Zugabe dieses hervorragenden Ensembles. Ich gehe mit gemischten Gefühlen vom Gendarmenmarkt. Auf der einen Seite habe ich sehr guten Tanz gesehen, auf der anderen Seite entschädigen dafür nicht die Fehlgriffe des Abends. Oder heißt es Fehltritte?
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