Im Laufe der Jahre habe ich schon einige Carmen Inszenierungen gesehen. Viele Regisseure sehen gerade in dieser legendären Oper die Möglichkeit ihre Ideen zu verwirklichen. Das leider die meisten auf versponnenes, anstrengendes Pseudo Regietheater setzen nur um sich selber etwas zu beweisen, übersteigt oft die Grenzen des erträglichen. Die Inszenierung die seit 1979 mit überwältig großem Erfolg im Repertoire der Deutschen Oper zu sehen ist, fügt sich in die oben genannte Kategorie zum Glück nicht ein. Vielmehr herrscht schon vor Beginn der Aufführung so etwas wie eine ephorische Stimmung vergleichbar mit einem Popkonzert. Wenn dann die legendäre Ouvertüre erklingt unter der Leitung von Giuseppe Finzi und dem erstklassigen Orchester der Deutschen Oper, dann mündet das zum ersten, von vielen Applausstürmen.
Die Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik von Sevilla haben Pause. Sie flanieren auf der Straße und umgarnen die Soldaten, die hier stationiert sind. Die Zigeunerin Carmen (Clémentine Margaine), eine der Arbeiterinnen hat es auf den jungen, hübschen, aber unerfahrenen Soldaten Jose (Thiago Arancam) abgesehen. Kurze Zeit später flammt unter den Mädchen ein Streit auf; Carmen verletzt eine Kollegin mit einem Messer. Ausgerechnet Jose muß sie verhaften. Sie überredet ihn, sie laufen zu lassen. Daraufhin wird er selbst verhaftet.
Einige Tage später wartet Carmen in einem Schmugglerversteck auf die Rückkehr von Jose. Endlich kommt er, die beiden sind glücklich, bis der Zapfenstreich ertönt. Der pflichtbewußte Jose muß in die Kaserne zurück. Darüber ist Carmen empört, sie wirft ihm vor, daß er sie nicht wirklich liebt, wenn ihm jetzt seine Pflicht wichtiger ist. In diesem Moment erscheint Joses Vorgesetzer (Marko Mimica) und macht Carmen schöne Augen. Rasend vor Eifersucht verletzt Jose ihn mit seinem Schwert. Nun muß Jose fliehen und sich verstecken. Er findet bei den Schmugglern und Zigeunern Unterschlupf. Jetzt, da Jose bei ihr ist, verliert Carmen das Interesse an ihm. Ihr war es nur um die Eroberung gegangen. Sie wendet sich dem strahlenden Torero Escamillo (Bastiaan Everink) zu. Der abgewiesene Jose schwört Rache.
Vor der Arena zu Sevilla. Carmen will zum Stierkampf. Auf dem Weg dorthin taucht Jose auf und gesteht ihr noch einmal seine Liebe. Sie aber verlacht ihn nur. Rasen vor Wut ersticht Jose die Zigeunerin und bricht dann über ihr zusammen.
Carmen gehört zu den bekanntesten Opern der Musikgeschichte; die Arien Habanera, Toréador, en garde! Toréador!, La fleur que tu m'avais jetée sind weltberühmt. Das besondere an der Inszenierung von Peter Beauvais und Soren Schuhmacher (letzterer ist für die neue Überarbeitung verantwortlich) ist das scheinbar einfache im essentiellen. Beide Regisseure wissen genau wie sie die wichtigen Aspekte der Oper herausarbeiten und auf das vortreffliste auf die Bühne bringen. Alles an dieser Produktion ist homogen und perfekt durchdacht: die fantastische Bühne (gleich zu Beginn sieht die Bilder aus wie ein Gemälde von Goya) und die wunderschönen Kostüme von Pierluigi Samaritani, das stimmungsvolle Lichtdesign von Ulrich Niepel, der Szene stehlende Kinderchor unter Dagmar Fiebach und eine Besetzung, die einem das Wasser im Mund zusammnelaufen lässt.
Als Carmen ist Clémentine Margaine optisch wie stimmlisch eine Idealbesetzung. Sie ist leidenschaftlich und wütend, zerbrechlich und aufbrausend, emanzipiert und teuflisch. Mit ihrer Habanera ernet sie vom Publikum minutenlangen Beifall. Thiago Arancam ist nicht nur ein idealer Don José, er schafft es auch immer wieder duch sein bedingungsloses Schauspiel und seinen großen, kräftigen Tenor für Aufsehen zu sorgen. Gemeinsam mit Argaine hat er eine hervorragende Chemie und beide scheinen vor Leidenschaft fast zu platzen, soviel sexuelle Spannung ist zwischen den beiden zu spüren. Als Zuschauer kann man so die schwüle Hitze Sevillas fast spüren und währt sich mit dem Paar in Spanien auf dem Marktplatz, inmitten der Menschenmenge (hervorragend und präzise: der Chor der Deutschen Oper). NeBen Allen, wirklich makellosen Darbietungen des Abends, ist Sarah-Jane Brandon als Micaela der heimliche Star des Abends. Ihr Je dis que rien ne m'épouvante wird mit Bravos und langem Applaus gewürdigt.
Ein magischer Abend! Das ist die perfekte Carmen für die Generationen. Eine Meisterklasse in Regie und Gesang!
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