Premiere: 28.04.2017
besuchte Vorstellung: 28.04.2017
3/5
Schon Sondheim wusste, dass es die kleinen Dinge sind, die eine gut funktionierende Ehe und Partnerschaft geschmeidig und perfekt werden lassen. Die Hobbys, welche man gemeinsam verfolgt und die kleinen Dinge, die man teilt: sei es die Nachbarn zu ärgern, Konzerte zu geniessen oder "children you destroy together, that keeps marriage intact. The little things..."
Von alldem ist bei Francesca Johnson (Maike Switzer) und ihrem Mann Bud (Udo Eickelmann) nicht viel übrig geblieben, obwohl letzteres Ziel, den Kindern (Andreas Bongard als Michael und Angelina Biermann als Carolyn) gewidmet, noch die größten Erfolgsaussichten hat. So ist es für Francesca mehr Segen als Fluch, als ihre zwei Kinder samt Mann zur jährlichen Landwirtschaftsausstellung fahren. Nun ist Francesca zum ersten Mal nach langer Zeit alleine. Ihre anfänglichen Pläne die neu gewonnene Zeit mit langen Bädern, neuen Rezepten, Büchern und Gartenarbeit zu verbringen, werden je durch das Erscheinen eines Fotografen durchkreuzt. Robert Kincaid (ChristIan Alexander Müller) arbeitet für den National Geographic und fotografiert für eine Ausgabe Brücken in Madison County. Er fragt sie nach dem Weg zur Roseman Bridge und aus einer anfänglich schüchternen Begegnung wächst in kurzer Zeit eine intensive Liason, die so lange andauert bis ihre Familie nach wenigen Tagen wieder zurück in den heimatlichen Gefilden ist. Doch wird Francesca den großen Schritt wagen und sich für ihren Geliebten Robert und gegen ihre Familie entscheiden?
Wer die Romanvorlage oder den Film mit Clint Eastwood und Meryl Streep kennt, weiß die Antwort darauf. Aufgrund der beiden erfolgreichen Vorgänger war die Entwicklung eines Musicals, wahrscheinlich eine logische Schlussfolgerung. Jason Robert Brown ist Texter und Musiker von "The Bridges Of Madison County". Erst im vergangene Jahr inszenierte er in London eine erfrischende Interpretation seines eigenen Stückes "The Last 5 Years" und offeriert darüber hinaus unzähligen angehenden Musical Studenten viele Audition Songs Jahr für Jahr.
Brown ist ein Meister seines Handwerks ein exquisiter Texter und einfühlsamer Komponist. Für seine Partitur von "Die Brücken am Fluss" wurde Brown daher zurecht mit einem Tony Award ausgezeichnet. Die Musik liegt irgendwo zwischen Bluegrass, Americana, Pop und jazzigen Elementen. Bis hierhin sind das alles sehr gute Vorboten für eine Transferierung des Musicals auf eine deutsche Bühne: eine romantische Geschichte, ein erfolgreicher Film, schöne Musik und eine gute Besetzung. Was aber die Inszenierung von Müller in der Stadthalle Chemnitz betrifft, hapert, poltert und rumst es allerdings gewaltig.
Müller hat zum Glück einen überlebensgroßen Joker, der seine Produktion letztendlich vor dem finalen kentern und kollabieren rettet: die grandiose Maike Switzer als Francesca. Von Beginn an ist sie der Dreh und Angelpunkt des Musicals. Sie singt wunderschön und ist eine ebenbürtige Reinkarnation der amerikanischen Original Besetzung Kelli O'Hara. Switzers Schauspiel ist natürlich, voller Anmut und Charme. Die kleinen Gesten wie das zurückstreichen des Haares, das ertasten des Handgelenks verstärken das intensive, ausgereifte Spiel der Schauspielerin und Sängerin. Ihre Stimme ist klar und kraftvoll, verletzlich und dominant.
Müller, auch verantwortlich für Regie und Bühne, schlüpft in die Rolle des Fotografen Kincaid. Eine Figur, die er stimmlich mühelos ausfüllt. Der Mann, der einst das jüngste "Phantom der Oper" war, hat stimmlich nichts von seiner Intensität eingebüßt. Besonders in den ruhigen, zarten Momenten begeistert er mit starker, kräftiger und voluminöser Stimme. Ein absoluter Gewinn für diese Produktion! Aber wo Licht ist, ist wieso oft auch Schatten. Müllers Schauspiel ist dem seiner Partnerin Switzer nicht ebenbürtig: zu hölzern, und zu unbeholfen mutmaßen seine Versuche. Zu sehr scheint er damit beschäftigt zu sein, auch seiner Funktion als Regisseur gerecht zu werden. Leider behindert ihn dies so sehr im Schauspiel, dass zwischen ihm und Switzer keine sexuelle Lust entflammt, geschweige denn irgendeine Art von Chemie. So ist dann auch die ach so viel zitierte leidenschaftliche Romanze nicht nachvollziehbar und eher ein laues Lüftchen. Sicher sind hier für auch erhebliche Schwächen im Buch verantwortlich. Zwischen "Hallo" und "Ich liebe dich" liegen gerade mal eine Handvoll Lieder. So wirkt die Anziehungskraft der beiden Protagonisten nur behauptet. Dass, was als Kammerspiel so hervorragend hätte funktionieren können, überfrachtet Müller mit unnötigen, ärgerlich unbeholfenen Bühnen Umbauten eines jungen Ensembles. So sitzen Jungs und Mädels merkwürdig hilflos auf Stühlen, die später auch die Roseman Bridge darstellen, eben die Brücke auf der Robert Francesca fotografiert.
Lieber hätte ich mir Schwitzer und Müller in einer konzertanten Version der großartigen Songs angehört und angesehen als dem unnötige Aktionismus des Ensembles beizuwohnen. Die Protagonisten sollten hier das essentielle sein, und nicht wie ein unnötiger Stuhl von Punkt A nach Punkt B gelangt. Es ist wie eine Operation an der Zahnwurzel: man möchte aufschreiben, kann es aber nicht weil man noch hilflos von der Narkose ist und unter Schock steht. Es sind ganze Handlungsstränge die nur unnötig vom zentralen Thema ablenken: die besorgte Nachbarin Marge, die Ex Frau von Richard und Szenen auf der Landesausstellung hätten alle ersatzlos gestrichen werden können, weil sie nur unnötig vom zentralen Thema der beiden Protagonisten ablenken (Buch Marsha Norman) -auch wenn Müller mit Musical Urgestein Cornelia Drese als Marge und Roberta Valentini (die ein Lied und nur diesen einzigen Auftritt hat) eine exzellente Besetzung aufgestellt hat. Die teilweise holprige deutsche Übersetzung von Wolfang Adenberg ("umarme mich nicht / gib mir nicht die Hand / sieh mich einfach an") ist zu verschmerzen.
Somit bleibt bei zwei tollen Hauptdarstellern leider ein fader Beigeschmack zurück. Gleichzeitig spreche ich auch große Anerkennung dafür aus, den Mut von Müller und Heartmade Productions, die großartigen Melodien von Jason Robert Brown auf eine deutsche Bühne zu bringen. Es sind manchmal doch mehr als die "Little Things", die begeistern.
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