Gleich zur Ouvertüre von "My Fair Lady" von Alan Jay Lerner und Frederick Loewe setzt Regisseur Dietrich W. Hilsdorf den Ton, der die gesamte Spieldauer seiner Inszenierung konstant bleibt. Über Projektionen werden die drei Hauptpartien (Higgins, Eliza und Freddy) mit Rollen- und Schauspielernamen eingeblendet. Zu den Klängen von Loewes Musik startet das Musical in breitestem Cinemascope und Technicolor, so wie sonst nur die beliebten MGM Musicals einer längst vergangenen Ära beginnen. Selbstverständlich kann man geteilter Meinung sein ob Konvention immer sinnvoll ist. Bei dieser Regiearbeit rufe ich ein vehementes und beherztes "Ja!" aus. Möchte man als Zuschauer wirklich eine moderne "My Fair Lady" sehen? Ist dieses Stück nicht geradezu prädestiniert ausladende Kostüme, noch größere Hüte und ein imposantes Bühnenbild aufzufahren? Jeder, der eine Neuinterpretation des "Pygmalion" Stoffes von Shaw sehen möchte, auf der das Stück beruht, sollte dieser Aufführung fern bleiben. Alle anderen dürfen in traumwandlerischer Gelassenheit in der klassischen, wunderschönen und geschmackvollen Inszenierung von Hilsdorf schwärmen und schwelgen.
Das Bühnenbild von Dieter Richter ist nicht nur majestätisch sondern bei aller Schönheit auch funktional praktikabel. Auf der linken Seite befindet sich die Kneipe 'King George' (Dreh- und Angelpunkt für Eliza's Vater) und auf der rechten Seite ist das herrschaftliche Anwesen von Professor Higgings zu sehen. Unmittelbar daneben thront die Galatea Statue. Der Bildhauer Pygmalion von Zypern erschuf der Mythologie nach die Elfenbeinstatue und wünschte sich von Venus, der Göttin der Liebe, die Statue möge lebendig werden. Als er beginnt sie zu berühren wird sie tatsächlich lebendig. Aus diesem Stoff entwickelte George Bernard Shaw 1913 sein Theaterstück "Pygmalion" und die Londoner Gesellschaft zu karikieren.
Erschuf Pygmalion einst eine Statue, verwandelt der Phonetikprofessor Henry Higgins das mittellose Blumenmädchen Eliza Doolittle in eine Dame der Gesellschaft. Nach einigen Monaten harten Kampfes mit Vokalen und Konsonanten präsentiert er sie auf einem Ball. Elizas Schönheit, ihre Sprache und ihr Auftreten lassen sie wie eine Herzogin erscheinen. Dennoch wehrt sich der Professor hartnäckig gegen die Liebe zu seiner Schöpfung …
Die Besetzung ist erstklassig und ein Fest für Augen und Ohren. Klaus Schreiber kann als Professor Henry Higgins sämtliche Register seiner Schauspielkunst ziehen und lässt keine Wünsche offen. Sein Portrait ist 'sophisticated' und intensiv, kalt und herzergreifend zugleich. Er zeigt wundervolle, humorvolle Momente und kann gesanglich rollendeckend überzeugen. Regina Richter erhält für ihre Elza nach jeder großen Nummer sehr viel Applaus. Stimmlich gibt es hier absolut nicht auszusetzen, ich hätte mir für meinen Geschmack in den Schauspielszenen etwas mehr Drive gewünscht, denn da ist ihr natürlich Schreiber haushoch überlegen. Hans-Jochen Röhrig ist als Oberst Pickering ein Sympathieträger und der ideale Partner für Schreibers Higgins. Miljenko Turk hat als Freddy nicht allzu viel zu tun, aber er singt sein "In der Straße wohnst du" mit dem nötigen Schmelz und Können. Echte Showstopper sind die beiden Nummern von Hans-Martin Stier als Alfred P. Doolittle. Hier offenbart sich das Talent von Choreograf Giorgio Madia am besten, wenn er wie in den besten MGM Musicals das Tanzensemble zu "Bringt mich pünktlich zum Altar" über die Bühne schweben lässt. Eine brillante Team Leistung von Stier, Madia und Tänzern. Fantastisch! Die Überraschung des Abends und Publikumsliebling ist die wunderbare Andreja Schneider als Mrs Pearce, die der robusten Haushälterin Herz, Seele und Stimme gibt während Sigrun Schneggenburger als Mrs Higgins für die humorvollen Bonmots zuständig ist.
Nur einem so erfahrenen und erstklassigen Regisseur wie Hilsdorf kann es gelingen aus jeder einzelnen Szene ein Gesamtkunstwerk zu gestalten, welches durch viele zauberhafte Details noch stimmig ergänzt wird. Es sind die kleinen, feinen Dinge, wie Mrs Higgins, die sich heimlich beim Kellner einen Gin bestellt, damit niemand ihr Laster bemerkt, die Dienstmädchen die sich heimlich ein Pralinee stibitzen oder Mrs Pearce, die verträumt einen Apfel essend aus dem Fenster schaut und dabei soviel über ihr Seelenleben preisgibt.
Die großartigen, prachtvollen Kostüme (und Hüte!) von Renate Schmitzer sind spektakulär und der Epoche beeindruckend genau nachempfunden. Der Chor der Oper Köln unter der Leitung von Jens Olaf Buhrow ist hervorragend zu verstehen und bestens motiviert. Hilsdorf nimmt es mit der Zeit sehr genau und so werden die jeweiligen. detailierten Zeit und Ortsangaben genau protokolliert und eingeblendet. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles ist bis ins kleinste Detail genau herausgearbeitet und fein beobachtet. Zeitungsjungen verkünden z.B. den Untergang der Titanic.
Diese "My Fair Lady" hält alles für einen perfekten Theaterabend bereit: wunderschöne, unvergessliche Melodien, atemberaubende Kulissen und Kostüme und eine erstklassige Besetzung. Konvention, kann manchmal etwas wirklich tolles sein!
Videos