Die zweiten Seefestspiele am Berliner Wannsee, sind auch gleichzeitig die letzten. Und wenn ich mir die "Carmen" Inszenierung von Volker Schlöndorff anschaue, ist dies wohl auch die richtige Entscheidung. Nach diversen Quälereien mit dem Berliner Senat, verkündete Veranstalter Peter Schwenkow zukünftig die Festspiele in einer anderen Stadt aufführen zu wollen. So enden die Festspiele ebenso schnell, wie sie gekommen sind. Der Abend am Wannsee könnte an diesem sonnigen, heißen Augusttag nicht schöner sein. Dazu ertönt die wunderschöne Musik von George Bizet.. eigentlich ein Hochgenuss, oder? Nein, nicht so ganz, denn schon bei der Ouvertüre fehlt das nötige Tempo und die Kraft mit der Judith Kubitz die Kammerakademie Potsdam dirigiert. Die Damen und Herren sitzen isoliert und abgesondert in einem Globus artigen Partyzelt, welches rundherum vor Unwetter schützen soll. Schließlich will man auf Nummer sicher gehen und für weniger schöne Tage dem Regen trotzen. Darunter leidet natürlich die Akoustik, denn sowohl die Musiker, wie auch Sänger und Chor sind verstärkt und mit Mikrofonen ausgestattet. Alles klingt technisch und steril.
Zur Ouvertüre schwingen sich "Akrobaten" (die Anführungszeichen sind wörtlich zu verstehen) durch die Zuschauerreihen auf die Bühne. Die Artisten bilden einen erheblichen Nervfaktor, der sich konsequent dreist und hartnäckig durch den Abend zieht. Mit übertriebenem Focus auf Bewegung vergaloppiert sich Regisseur Schlöndorff mit unpassenden, arhytmisch-gelangweilten Choreographien (Marc Bogaerts), die mehr nach Hobbygymnastik für Jugendliche mit ADHS aussehen, als nach professionell durchdachter Choreografie. Der riesengroße Fächer auf der von Volker Hintermeier designten Bühne bietet einen fulminaten Augangspunkt für eine dann aber enttäuschende und biedere Stadttheaterinszenierung aus der Retorte. Das was Schlöndorff auf die Bühne bringt, ist provinzieller Theatermief ohne Charme, Herzblut und Ideen. Mit furchtbar schlechter Personenregie stiefeln die Protagonisten hölzern und ferngesteuert über die Bühne.
Erica Brookhyser als Zigarren paffende Carmen, ist mehr Amazone als leidenschaftliche Verführerin. Sie trägt übergroße, hässliche Stiefel und hat alle Mühe ihrem Kostüm, einer Mischung aus billiger Prostituierte und Bierkutscher, mit Sexappeal zu kompensieren. Zu allem Überfluß läßt Schlöndorff sie während ihrer großen Hmyne "L'amour est un oiseau rebelle" über die Bühne wandern und dann ganz von selbiger verschwinden, so dass sie kurze Zeit aus dem off singt und für die Zuschauer nicht sichtbar ist. Da fehlt nicht nur das gewisse etwas, diese gewisse Nuance in Brookhyyser's Stimme, sondern auch die nötige Kraft und Sinnlichkeit welche die Rolle fordert. Auch ihr Zusammenspiel mit Bühnenpartner Christian Schleicher als Don José bleibt steif und seelenlos. Zwischen den beiden Sängern entsteht keinerlei Chemie, geschweige denn animalische Leidenschaft und vollkommene Hingabe. Stimmlich kann Anna Pisarvea als Micaela zwar punkten, wirkt jedoch in ihrer Rolle wie ein verhuschtes Replik aus einem Heimatfilm, die mit Don José auf einem Heuballen sitzen muss und schmachtend sämtliche Posen des Opern- und Operettenrepertoires demonstriert. Ihr fehlt das Charisma um eine rundum gelugene Charakterisierung zu zeichnen.
Abwechselnd wird mal deutsch, mal französisch gesungen, was aber ohnehin nicht viel Unterschied macht, da eine Textverständlichkeit quasi nicht vorhanden ist. Dazu kommt ein Chor zum Einsatz, der wie bestellt und nicht abgeholt konzeptionslos auf der Bühne spazieren geht oder wahlweise sinnentleert in die Gegend starrt. Die immer noch nervende, überflüßige Artistik, ist so spannend wie ein Bingo Abend im Seniorenstift- und ebenso beweglich und agil.
Über allem thront der muffig spießige Charme einer Amateurproduktion, die zu horrenden Preisen dem Otto Normalverbraucher Oper als Unterhaltung serviert und ihm die Welt erklären will. Schlöndorff gehen die wenigen Ideen sehr schnell aus, andere, wie z.B. Filmeinspielungen sind verschenkt und überflüßig. So ist der Abend leider weniger unterhaltend, als vielmehr anstregend und dröge. Eine Schande für die großartige Oper von Bizet, die wahrlich besseres verdient hätte. Diese lieblose, heruntergeleierte Auftragsarbeit von Schlöndorff gewinnt durch eine Bemerkung an bitterer Realität. Der selbstverliebte Escamillo (Michael Bachtadze) bemerkt zum Ende des enttäuschenden Abends nach einem nicht treffenden Pistolenschuss: "Ein bißchen tiefer und alles wäre vorbei." So fällt nicht nur für das Stück der Vorhang, sondern auch für die Seefestspiele Berlin und das trifft tief - eben da wo es weh tut.
Photo Credit:Seefestspiele
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